20. März 2013

Die Oscars: Eine Apologie

Die Oscars – was sind schon die Oscars? Wenn man über die von der US-amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences verliehenen Auszeichnungen zu sprechen kommt, dann wird man in unseren Breitengraden unter Kinoliebhabern häufig mit Groll und Verachtung ihnen gegenüber konfrontiert. Die Academy Awards hätten keine relevante Aussagekraft und würden von einer überalterten und anspruchslosen Institution an künstlerisch wertlose Filme vergeben – so oder ähnlich ein häufig zu hörender Kritikpunkt. Da ist Michael Hanekes inzwischen berühmt gewordenes Diktum, die Oscars hätten doch zumindest für den Vertrieb eine Bedeutung, da sie „jeder Bauer in Afghanistan“ kenne, geradezu noch schmeichelhaft.

Doch ist das wirklich so? Sind die Oscars und die damit ausgezeichneten Filme wirklich so schlecht wie ihr Ruf? Ich bin nicht davon überzeugt und möchte mir die Preisträger daher einmal genauer ansehen. Was jetzt kommt, steht natürlich in unmittelbarem Zusammenhang zu dem Geständnis, das ich am 7. März an dieser Stelle gemacht habe, und ich muss betonen, dass dies meine rein subjektive Einschätzung ist und ich jedem eine andere Meinung zugestehe.

Zuallererst muss ich natürlich eingestehen, dass man sich eigentlich jede Preiskategorie einzeln ansehen müsste, von denen jede wiederum ihre eigene Logik hat. Täte man dies, könnte man über Einzelentscheidungen sicher trefflich streiten. Auch ich bin mit vielen Entscheidungen der Academy nicht immer einverstanden. Aber hier und jetzt möchte ich mich nur mit jener Kategorie beschäftigen, die in der Öffentlichkeit die größte Resonanz erfährt: Bester Film. Ich stelle jetzt nicht die Frage, ob es im jeweiligen Jahr nicht noch andere Filme gegeben hat, welche die Auszeichnung möglicherweise mehr verdient hätten. Das mag schon sein. Mir geht es hier aber um die jeweiligen Filme selbst: Sind die ausgezeichneten Filme gute Filme? Würde ich guten Gewissens jemandem raten, sie sich anzusehen? Oder hat die Academy, wie Kritiker sagen würden, wieder einmal „ganze Arbeit geleistet und einen wertlosen Film ausgezeichnet“? 

Schon ein Blick auf die letzten zehn Verleihungen mag für manchen überraschend sein: „Argo“, „The Artist“, „The King’s Speech“, „The Hurt Locker“, „Slumdog Millionaire“, „No Country for Old Men“, „The Departed“, „L.A. Crash“, „Million Dollar Baby“, „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“ – außer „Slumdog Millionaire“, dessen Auszeichnung wohl das Ergebnis eines kurzzeitigen Multikulti-Hypes war, sind das allesamt gute Filme. Natürlich gibt es hin und wieder auch Fehlentscheidungen – aber gibt es die nicht anderswo genauso? Davor kommt mit „Chicago“ ein Film, den ich selbst nicht gesehen habe, und weiter zurück geht es dann mit „A Beautiful Mind“, „Gladiator“, „American Beauty“, „Shakespeare in Love“, „Titanic“, „Der englische Patient“, „Braveheart“, „Forrest Gump“, „Schindlers Liste“, „Erbarmungslos“, „Das Schweigen der Lämmer“, „Der mit dem Wolf tanzt“, „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, „Rain Man“, „Der letzte Kaiser“, „Platoon“, „Jenseits von Afrika“, „Amadeus“ und so weiter und so fort. Höre ich schon einen Einspruch? Ich selbst kann mich jedenfalls nicht beschweren.

Machen wir einen Seitenblick auf die großen Filmfestspiele, die ebenfalls renommierte Auszeichnungen vergeben. Mir ist natürlich klar, dass dieser Vergleich nicht ganz sauber ist, da die Ausgangslage eine andere ist. Auf der einen Seite haben wir eine Filmakademie, die den Anspruch hat, das gesamte Filmschaffen eines Jahres – wohlgemerkt in einem bestimmten Land – im Blick zu haben, auf der anderen Seite haben wir Festivals, deren Preise sich auf einen klar abgegrenzten Wettbewerb beschränken. Zudem ist bei vielen Filmfestspielen der künstlerische Anspruch (angeblich) ein höherer. Aber obwohl auch die Breitenwirkung des Oscars, wie mit dem Zitat Hanekes oben dargelegt, eine andere ist, so sind die Goldene Palme, der Goldene Löwe oder der Goldene Bär, so glaube ich zumindest, im Bewusstsein der Öffentlichkeit ebensolche Etiketten wie der Oscar.

Wenn ich mir die Listen der ausgezeichneten Filme in Cannes, Venedig und Berlin nun ansehe, dann muss ich zunächst einmal feststellen bzw. eingestehen, dass sich hier auch einige Titel finden, die ich nur vom Namen oder auch gar nicht kenne. Gleichzeitig entdecke ich – rein subjektiv betrachtet – aber auch den einen oder anderen Ausrutscher. Die Goldene Palme für „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ oder der Goldene Löwe für „Faust“ sind mir zum Beispiel nach wie vor ein Rätsel. Als Randbemerkung sei zudem daran erinnert, dass in Cannes auch solch ach so amerikanische Mainstreamfilme wie „Pulp Fiction“ mit der Goldenen Palme bedacht wurden; genauso wie Michael Haneke ist auch Quentin Tarantino ein Cannes-Liebling.

In diesem Zusammenhang würde ich auch gerne noch ein weiteres häufig gegen die Oscars ins Treffen geführtes Argument thematisieren: Die angeblich unausgewogene Zusammensetzung der Academy und die damit vorprogrammierten Entscheidungen. Bei den großen Festivals bestimmt eine Festivaldirektion im Prinzip im Alleingang, welche Handvoll Filme überhaupt im Wettbewerb gezeigt werden. Dann entscheidet eine Jury aus wenigen Personen, in erster Linie Filmschaffenden, nach mehr oder weniger intensiven Diskussionen und oft nach persönlichen Vorlieben und Bekanntschaften, wer die prestigeträchtigen Auszeichnungen mit nach Hause nehmen darf. Dem gegenüber obliegen die Nominierungen für die Oscars zunächst den jeweiligen Berufsgruppen innerhalb der Academy (Kameraleute für Beste Kamera, Schnittmeister für Besten Schnitt etc.), wenn nicht, wie etwa bei der Hauptkategorie Bester Film, gar gleich alle Mitglieder mitstimmen dürfen. Die endgültige Entscheidung über die Auszeichnungen treffen in geheimer Wahl jedenfalls alle Mitglieder der Academy, ca. 6000 an der Zahl. Nun frage ich: Warum sollte ein auf diese Weise demokratisch zustande gekommenes Ergebnis so viel schlechter sein als eine Festivaljuryentscheidung?

Dies soll kein Angriff auf die großen Filmfestspiele sein, die ich stets mit großem Interesse verfolge. Selbstverständlich werde ich mich auch weiterhin darum bemühen, mir Filme, die in den Wettbewerben von Cannes, Berlin oder Venedig laufen, im Kino anzusehen. Doch ich wüsste nicht, warum ich die gleiche vorauseilende Wertschätzung nicht ebenso den Oscar-Gewinnern entgegenbringen sollte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen