Heute werden die diesjährigen Academy Awards vergeben.
Anders als in den Vorjahren möchte ich bei der Diskussion der diesjährigen
Oscarnominierungen aber etwas anders vorgehen: Ich äußere meine Tipps und
Wünsche nicht mehr in Listenform – weshalb auch ein Abhaken und Auswerten der
Ergebnisse nicht mehr möglich sein wird – und behandle außerdem nicht mehr alle
Kategorien. Dafür ist nun auch ein wenig Platz für einige allgemeinere Gedanken.
Von den nominierten Filmen gesehen habe ich „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ (Bester Film, insgesamt neun
Nominierungen), „Grand Budapest Hotel“ (Bester Film, insgesamt neun
Nominierungen), „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ (Bester Film,
insgesamt acht Nominierungen), „Boyhood“ (Bester Film, insgesamt sechs
Nominierungen), „Interstellar“ (insgesamt fünf Nominierungen), „Foxcatcher“
(insgesamt fünf Nominierungen), „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ (insgesamt
zwei Nominierungen), „Ida“ (insgesamt zwei Nominierungen) und „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ (eine Nominierung).
An dieser Stelle habe ich schon öfters eine häufig in
Kennerkreisen vertretene Ansicht wiedergegeben: Der Zweite Weltkrieg, die
NS-Zeit und der Holocaust als Themen ebnen den Weg zu den Oscars. Dies scheint
auch heuer wieder zu gelten, denn anders sind die acht Nominierungen für „The
Imitation Game“ – der wohlgemerkt ein guter Film ist, aber auch nicht mehr –
nicht zu erklären. Auch „Ida“, nominiert als bester fremdsprachiger Film und
für die beste Kamera – und zudem ein hervorragender Film – fällt in diese
Kategorie. Doch auch „Grand Budapest Hotel“ ließe sich in gewisser Weise hierzu
zählen, wenngleich der Film in einer fiktionalisierten Zeitebene spielt. Auch
Filme über den langen und andauernden Kampf der Afroamerikaner für ihre Rechte
haben meist gute Oscar(nominierungs)chancen. So war eigentlich von Anfang an
klar, dass „Selma“ zumindest als Bester Film nominiert werden würde. Nichtsdestotrotz
handelt es sich insgesamt bei den diesjährigen Nominierten um einen eigentlich
recht bunten Haufen. Mit jeweils neun Nominierungen führen mit „Birdman“ und „Grand
Budapest Hotel“ zwei Komödien mit tragischem Beigeschmack die Gesamtliste an.
Als Bester Film nominiert sind
außerdem mehrere Genrefilme: ein Kriegsfilm („American Sniper“), ein biographischer
Liebesfilm („Die Entdeckung der Unendlichkeit“), ein Musikerfilm („Whiplash“). Ganz
anders wiederum ist „Boyhood“, der eines meiner Highlights des letzten Jahres
war und in der Hauptkategorie unbedingt gewinnen sollte – und sei es nur, weil
sich jeder mit den Protagonisten identifizieren kann. Auch die Auszeichnung für
die Beste Regie sollte mit Richard
Linklater an „Boyhood“ gehen für die Energie, die er zwölf Jahre lang diesem
Projekt gewidmet hat. Doch natürlich wäre der Oscar endlich auch für Wes
Anderson („Grand Budapest Hotel“) oder Alejandro González Iñárritu („Birdman“)
verdient. Alle drei haben übrigens auch in der Kategorie Bestes
Originaldrehbuch Chancen – was auch viel über ihre Ganzheitlichkeit als Filmmacher
aussagt. Bennett Miller hat für „Foxcatcher“ wohl keine ernstzunehmenden Gewinnaussichten,
wiewohl der Film sehr gut ist.
In den Schauspielkategorien würde ich meinen, dass Michael
Keaton wohl jedenfalls für die Rolle seines Lebens in „Birdman“ als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet
werden wird. Anerkennend muss festgehalten werden, dass Bradley Cooper („American
Sniper“) schon das dritte Jahr in Folge nominiert worden ist. Steve Carell („Foxcatcher“)
beeindruckte mit einer völlig neuen Facette, hat aber wie Benedict Cumberbatch („The
Imitation Game“) und Eddie Redmayne („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) keine
wirkliche Chance.
Bei den Damen hat Julianne Moore für ihre Rolle in „Still
Alice“, für die sie auch den Golden Globe gewonnen hat, die besten Karten als Beste Hauptdarstellerin. Marion
Cotillard („Zwei Tage, eine Nacht“), Felicity Jones („Die Entdeckung der
Unendlichkeit“), Rosamund Pike („Gone Girl“) und Reese Witherspoon („Der große
Trip – Wild“) dürften hier wohl nur Statistinnenrollen spielen.
Die Kategorie Bester
Nebendarsteller ist meiner Meinung nach traditionell die stärkste
Schauspielkategorie: Altmeister Robert Duvall („Der Richter – Recht oder Ehre“),
Ethan Hawke („Boyhood“), Edward Norton („Birdman“), Mark Ruffalo („Foxcatcher“),
J. K. Simmons („Whiplash“) – da fällt die Wahl wirklich schwer.
In der Kategorie Beste
Nebendarstellerin dürfte die Situation ähnlich sein wie bei den
Hauptdarstellerinnen. Der Oscar dürfte – hoch verdient – an Patricia Arquette für
„Boyhood“ gehen, Laura Dern („Der große Trip – Wild“), Keira Knightley („The
Imitation Game“), Emma Stone („Birdman“) und Meryl Streep („Into the Woods“)
können sich wenigstens über die Nominierung freuen.
Über das Beste Originaldrehbuch
habe ich bereits ein paar Worte verloren, hier kann ich gar nichts abschätzen.
In der Kategorie Bestes adaptiertes
Drehbuch würde ich die Auszeichnung Paul Thomas Anderson für „Inherent Vice“
wünschen – immerhin ist er sonst bei den Nominierungen leider leer ausgegangen.
Von den Nominierten in der Kategorie Bester
fremdsprachiger Film habe ich lediglich den polnischen Beitrag „Ida“
gesehen, der 2014 auch den Europäischen Filmpreis gewonnen hat. Der Film wäre
jedenfalls ein hochverdienter Sieger. Für das Beste Szenenbild sind „Grand Budapest Hotel“, „The Imitation Game“,
„Interstellar“, „Into the Woods“ und „Mr. Turner – Meister des Lichts“
nominiert; die Auszeichnung sollte für den unglaublichen Ideenreichtum und die
Detailverliebtheit an „Grand Budapest Hotel“ gehen.
Dass „Ida“ als fremdsprachiger Film auch in der Kategorie Beste Kamera nominiert ist, ist schon
eine kleine (verdiente) Sensation. Die besten Chancen würde ich jedoch Robert
Yeoman für „Grand Budapest Hotel“ attestieren – jeder, der den Film gesehen
hat, und wenn er noch so wenig davon versteht, spricht über diese Kameraarbeit.
Für Yeoman wäre es außerdem eine Anerkennung der hervorragenden Leistungen, die
er als Langzeitkollaborateur von Wes Anderson in der Vergangenheit vollbracht
hat. Auch die Auszeichnung für das Beste Kostümdesign
dürfte an „Grand Budapest Hotel“ gehen.
Von den in der Kategorie Bester
Dokumentarfilm Nominierten habe ich keinen gesehen, doch dürfte aufgrund
der politischen Aktualität und Brisanz „Citizenfour“ über den NSA-Whistleblower
Edward Snowden das Rennen machen – wenn sich denn die Academy traut. Bester Schnitt könnte an „Boyhood“ gehen,
Bestes Make-Up und beste Frisuren an „Foxcatcher“
für die Verwandlung von Steve Carell.
In der Kategorie Beste
Filmmusik sind zwei Dauerabonnenten auf Nominierungen vertreten: Alexandre
Desplat für „Grand Budapest Hotel“ und „The Imitation Game“ sowie Hans Zimmer für
„Interstellar“. Alle diese drei Scores sind hervorragend und zählen tatsächlich
zu jenen, die mir bereits im Kino besonders auffielen. Am eigentümlichsten und
auch am eingängigsten ist jedoch Desplats Musik für „Grand Budapest Hotel“, der
nun endlich seinen ersten Oscar gewinnen sollte.
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